ENGERLING spielt Stones-Songs im Miles
ENGERLING spielt Stones - CD
Die neue CD ist bei BUSCHFUNK erhältlich
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Die Erfüllung eines Traums
Die Idee, die die Vier von "Engerling" infiziert hatte, schien wirklich originell zu sein. Es war Frühsommer 1998 und die immer noch "greatest Rock"n"Roll-Band On Earth" plante, im Berliner Olympia-Stadio ihre Tour durch Europa anzuschieben. Die ganze Stadt lag seit Monaten schon im "Rolling Stones"-Fieber. Nur die Hauptstadt? Ein ganzes Land, der gesamte Kontinent gierte förmlich danach, Keith & Konsorten endlich wieder live zu erleben. Kein Wunder also, daß auch der Berlin-Gig bereits seit Ewigkeiten ausverkauft war. Alle angesagten Clubs, wie auch solche, die es gern sein würden, planten, sich auf Feten vor und nach dem Konzert im Rock"n"Roll-Fieber zu schütteln. Auch die Mannen von "Engerling" als langjährige Verehrer wollten ihren rockenden Beitrag leisten. Als Ort dieses Ereignisses war der "Miles-Club" (angesagt - und von der Art, wie der Londoner "Marquee" in der swingenden Sechzigern einst ausgestattet gewesen ist) auserkoren. Aber dann kletterte Keith in seiner Bibliothek auf die Leiter hinauf, weil er partout der Meinung war, sich kurz vor Tour-Start noch ein paar Kladden an Bildung zu Gemüte führen zu müssen. Auch noch solche von Leonardo Da Vinci über die Geheimnisse der menschlichen Anatomie. Diese Dinger sollen bekanntlich ziemlich schwer sein! Und Keith genehmigt sich als Frühstück regelmäßig einen beinharten Wodka mit etwas Orangensaft als Aufwecker. Im Gegensatz zu Kumpel Mick, der sich auf die Mammut-Touren mit Joggen und Diät vorbereitet, berichtete Keith mal über sein Programm zur Bühnen-Fitness: " Ich schleppe die Klampfe jeden Abend mehr als zwei Stunden auf meinem Buckel mit mir rum. Das reicht als Training!" Dann aber purzelten die Kladden auf Keith - und er mit ihnen zusammen die Leiter hinunter. Am Ende klapperten nur noch die Rippenknochen des "menschlichen Gitarren-Riffs". Damit rückte der Tourstart in eine gewisse Ferne.

Aber sollten deshalb "Engerling" ebenfalls ihren Gig schmeißen? Auf keinen Fall! Obwohl es auch bei ihnen einen Grund zur Absage gegeben hätte: Sänger Wolfram "Boddie" Bodag kämpfte nämlich mit durch eine Influenza aufgerauhte Stimmritzen. Egal! Dann mußte er wenigstens nicht wie Deutschlands erfolgreichster "Stones"-Imitator Marius M.W. auf Schmirgel-Röhre machen, sondern war genau in der richtigen Sanges-Verfassung. Denn es ging nicht nur um einen Gig als Tribut an eine hochverehrte Band. Sowas ist ja in den letzten Jahren plattenmäßig weltweit ziemlich in Mode gekommen. Neue Bands spielen Cover-Versionen von Neil Young, von Jimi Hendrix oder sogar "Depeche Mode" nach. Und die "Stones" selber produzierten auf ihrem letzten Live-Album "Stripped" eine tolle Version von Dylans "Like A Rolling Stone".

Neben solcherart Ehrenbezeugung ging es den Vier von "Engerling" aber auch um den Spaß, endlich einmal alle eigenen Lieblingssongs der "Stones" spielen zu können. So wie damals, als man eine Band gründete, weil man die Songs der großen Rock-Heroen möglichst Note für Note nachspielen wollte. Denn jeder, der irgendwann als junger Typ den Entschluß faßte, in einer Rock-Band mitzummachen, tat das nach irgendeinem Aha-Erlebnis. Das war bei Bruce Springsteen genauso wie bei den Kids Mick und Keith. Bei dem Typen aus New Jersey passierte es mit Elvis in der "Ed Sullivan-Show", bei den zwei Engländern waren die Blues-Platten von Muddy Waters oder Howlin Wolf schuld daran. Diese Gemeinsamkeiten existierten weltweit als die Faszination des Rock'n'Roll. Folglich gab es das auch in der alten, abservierten DDR. Hier kam aber noch ein zusätzlicher Faktor hinzu: wenn du Rock spielen wolltest, dann mußtest du nicht nur besessen sein - du mußtest bereit sein, dich zum Verrückten zu erklären. Denn du lebtest im Rock'n'Roll-Niemandsland! Es gab keine Text-Bücher, keine Noten-Bücher. Und die Gitarren hießen nicht "Fender" oder "Gibson" , sondern trugen Namen, die nach Arbeiterklasse oder Plastik klangen. Über den Sound der Verstärker breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Wenn du dann noch englisch gesungen hast, behandelten dich die Leute, die über dein Bestehen als Band zu entscheiden hatten, als würdest du in einer Sprache singen, die irgendwas mit dem Morsecode amerikanischer Spione zur Unterwanderung ddr-licher Kulur zu tun hatte. Aber Widerstände machen nicht nur stark, sondern wenn du dich an ihnen reibst, scheiterst du - oder sie machen dich stark. So konnte der Westberliner Kritiker Olaf Leitner über das 1976 erschienene Album "Tagtraum" der "Engerlinge" befinden, daß die Band damit eines der überhaupt besten Alben des DDR-Rock eingespielt hatte. Es war dieses Unpathetische in der Stimme von Tasten-Arbeiter "Boddie" Bodag, das gegen die klirrende, dann wieder sanft singende Stmmung der Gitarre von Heiner Witte ansang und kräftige Pianoakkorde perlen ließ und so eine Mischung aus Wut, Aggressivität, Hoffnung und jede Menge an skurrilem Humor ergab. Letzteres vor allem durch die Texte des "fahrradfahr"-besessenen Rock-Philosophen "Boddie" B (auf dem Sattel ist gut denken!).

Bei "Engerling" schwang in der Musik immer soviel an ausgerauhtem weißen Soul mit, daß man mitunter das Gefühl bekam, die Truppe sei irgendwann Ende der Sechziger aus Amerikas "Motor City" Detroit abgehauen, um in Berlin mal richtig deutsch zu lernen. Das muß wohl 1994 auch eine Legende aus Detroit gefühlt haben, als man ihr per Zufall ein paar Titel von "Engerling" vorspielte. Mitch Ryder war davon so hingerissen, daß er sich nach Berlin auf den Weg machte, sich mit den Herren Bodag & Crew in den berühmten "Hansa-Studios" (nicht mehr "by the wall") einquartierte, um mit den "Soul-Brothers" ein Album einzuspielen. Die Sprache der Texte war bei "Engerling" eben stets das einzige, was auf "Made in DDR" hindeutete. Das Markenzeichen ist Geschichte, die "Stones" aber rocken immer noch richtig gut. Genauso wie "Engerling". Trotzdem verkniffen es sich der Meister Bodag, Gitarre Heiner Witte, Bass Manne Pokrandt und Trommler Peter Lucht, neuere Songs der "Glimmer Twins" zu covern. Schließlich wollen wir alle doch alle lieber "Satisfaction" oder Play With Fire" hören, denn das sind die Titel, mit denen sich die "Steine" ihren Ruhm erspielt haben. Die neuen Songs dienen nur noch zum Erhalt des Rufs als Klassiker.
Auch besetzungsmäßig hielten sich die "Engerlinge" an die Tradition ihrer Vorbilder und holten sich für den Live-Gig als Sax-Spieler einen Menschen, der sich UFO nennt (Akte X im Rock"n"Roll !) An der zweiten Gitarre (gelegentlich auch im Chor) pickte zur Verfeinerung der Läufe von Heiner W. recht erfolgreich Micha Linke. Ufo spielt das sax
Und so legen "Engerling" gleich als Opener "Sway" vom 71er Klassiker "Sticky Fingers" vor. Keith Richards machte damals gerade eine Zeit durch, wo er absolut keine Lust auf schmutzige Riffs fühlte. Also durfte Mick Taylor sich lustvoll auf der Slide-Gitarre austoben, während Mick einige Füll-Riffs zusteuerte. Keith sang lediglich ein bißchen im Hintergrund. Heiner Witte muß wohl die Story gekannt haben. Warum sonst wohl läßt er hier wie Mick Taylor so wohllüstig die Metall-Hülse über die Saiten jubeln ? "It"s Only Rock"n"Roll" von 1974 gilt vielen Kritikern zurecht als eines der mieseren Alben der Herren Jagger & Co. "Luxury" zeigt Keiths beginnenden Begeisterung für den Reggae und lästern im Text über all die Typen, die sich täglich zum Job quälen, um ihren verwöhnten Ladies den Luxus bieten zu können. Bevor sie ihnen den Laufpaß geben! "Gimme Shelter" von "Let It Bleed" kam im Oktober/November 1969 in den Kasten. Keith liefert dabei eine hart-rockende Gitarrenarbeit ab. Aber noch intensiver, röhrender, heißer ist der Vokal-Job, den die Sängerin Merry Clayton zusteuert. "Boddie" Bodag ist weder schwarz wie sie, noch weiblich. Aber er war an dem Abend heiser! Glücklicherweise! Eine phantastische Version von "Engerling". "Waiting On A Friend" vom Album "Tattoo You" aus dem Jahr 1981 gilt für viele als eine der schönsten Balladen der "Stones", nicht zuletzt wegen des groovenden Saxophon-Solos des Jazz-Giganten Sonny Rollins. Andere behaupten das von "Dead Flowers" vom "Sticky Fingers". Hier drang die stetig wachsende Liebe von Jagger/Richards zum Country-Rock durch, vor allem wohl urch den Einfluß von Keith Richards Kumpel Gram Parsons. Logisch, daß das eine Band reizt, auch mal solche Sound-Farbe mal in Noten zu malen. "She Said Yeah" ist ein Song, den die "Stones" selbst 1965 gecovert haben, als sie noch in ihrer "naiven" Phase ruppigen Rhythm & Blues wie ihre Kollegen von den "Pretty Things" oder "Yardbirds" schruppten. Nach 1:47 haben auch "Engerling" in ihrem Cover eines Cover alles gesagt. "Sweet Virginia" stammt vom wohl allerbesten unter den vielen hervorragenden Stones-Werken "Exile On Mainstreet" aus dem Jahr 1972. Die Sessions dazu gerieten damals zu einer "Jungle Disease" , da die Verhältnisse dabei chaotisch krank anarchistisch waren. Keith Richards spielte zu der Zeit allen Menschen gefragt oder ungefragt, wie er sie nannte, "Cowboy Songs" vor. Also: spielen "Engerling" am Rande der "Miles" - Klub-Prärie einen weiteren Cowboy-Song. Vermutlich, weil man auch auf dem Fahrrad manchmal eine Freiheit wie im Pferdesattel verspürt. Aber nur rein philosophisch gesehen! "Sitting On A Fence" stammt aus dem Jahr 1965. Einer sitzt auf dem Zaun und singt sich eine niedliche Melodie. Was kann man bei solch einfacher Schönheit schon falsch machen? Gute Songs können nur von schlechten Kopierern stranguliert werden. Marianne Faithful überzeugte ihren damaligen Lover Mick, einen Song zu singen, den bereits sein Blues-Idol Robert Johnson interpretiert hatte. Und so nahm die Band "Love In Vain" 1969 für das Album "Let It Bleed" auf. Meister "Boddie" singt sich zu einer absolut überzeugender Mick-Form empor! Als Flip-Side von "Satisfaction" schrieben sich Keith und Mick 1965 diesen langsamen Blues über das "Spiel mit dem Feuer" der naiven Faszination über das Leben einer Band auf Tour. Daß aber die Frage nach dem " kriege ich heute abend ein Groupie ab?" mittlerweile in den Neunzigern zum wirklichen "Play With Fire" wurde, ist den vier Buchstaben AIDS geschuldet. Trotzdem bleibt "Play With Fire" mehr als dreißig Jahre nach seiner Veröffentlichung einfach ein schöner Song, der jeden, der ihn covert geradezu zwingt, den sentimentalen Liebhaber raushängen zu lassen. Den Text zu "2000 Light Years From Home" schrieb Mick Jagger 1967, als ihn die Staatsmächte wegen Drogenbesitzes eingelocht hatten. Es geschah zu der Zeit, als die "Stones" gerade ganz kurz meinten, mit psychodelischen Klängen rum experimentieren zu müssen. Deshalb ist es wohl faszinierend und herausfordernd gewesen, diesen Song "live" umzusetzen. Experiment gelungen! Der Titel "Out Of Time" war eigentlich für den weißen Blues-Rocker Chris Farlowe komponiert worden. Dann nahmen ihn die Stones selber sogar in zwei verschiedenen Versionen selbst auf.
Micha spielt die Gast-Gitarre Bei "Engerling" gerät er zum würdigen "Rausschmeißer" nach einem Vor-Gig für die wahren "Stones". Aber wer sich diese Platte angehört hat, wird zugeben müssen: Die Jungs haben ein tolles Konzert geboten!
Deshalb wird Keith Richards Managerin Jane Rose demnächst ein kleines Päckchen in ihrem Office am Broadway zugestellt werden. Das "lebende Riff" hört sich nämlich liebend gern Cover-Versionen seiner Songs von anderen Bands an, um zu erfahren, was andere mit seinen Sachen anstellen. Vermutlich wird er anschließend sagen: "Engerling? What a weird name for a band! But what a fucking great job done!"

Ralf Dietrich


... und nicht die Preisfrage zur neuen CD vergessen !


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